Was die Leute sagen

Anette: Es ist nicht so, wie die Leute immer sagen.

Die Leute behaupten: Das Leben geht weiter.

Anette: Das Leben geht nicht weiter. Es hört auf. Nur die Tage verstreichen. Es ist die Erde, die sich einfach ohne ihn weiterdreht.

Die Leute: Abschiede gehören zum Leben. Es wird wieder gut.

Anette: Nichts ist gut. Ich lebe nicht, ich überlebe!

Die Leute: Andere haben noch schlimmer Schicksalsschläge auszuhalten.

Anette: Ihr versteht doch gar nichts. Wisst ihr überhaupt, wie eure Worte wehtun?

Die Leute: Die Zeit heilt Wunden.

Anette: Soviel Zeit habe ich gar nicht mehr. Die Zeit ist die Wunde.

Die Leute: Schau nach vorne. Kopf hoch.

Anette: Ich habe keine Kraft mehr, da helfen Worte leider nicht aus.

Die Leute: Das wird schon wieder. Du wirst darüber hinweg kommen.

Anette: Dieses dumme Gerede von den Leuten. Es ist, als stünde alles still und doch läuft alles weiter. Das ist zwar normal, aber es ist ja nichts mehr normal. Alles ist anders geworden.

Die Leute: Alles wird wieder gut

Anette: ALLES ist ein ziemlich großes Wort. Und es wird nicht für jeden und für alle, alles gut.

Die Leute: Trauer gehört zum Leben, sie geht vorüber.

Anette: Meine Trauer verläuft aber nicht gerade-linig vorüber. Mehr in Wellen. Vielleicht ist sie deswegen so schwer.

Die Leute: Du musst doch endlich damit abschließen!

Anette: Das regt mich auf. Wie soll ich was abschließen? Ihr habt den Schlüssel dazu doch auch nicht. Ich habe alle Trauerphasen durch und bin wieder am Anfang. Ich warte auf den Tag, wo ich ihn wiedersehe.

Die Leute: Du musst wieder den Sinn des Lebens finden!

Anette: Ich muss erst einmal den Sinn des Todes verstehen.

Die Leute: Du musst loslassen!

Anette: Ich will nicht loslassen. Ich klammere daran fest. An der Wärme dieses Menschen, an seine Heiterkeit, an seine Art wie er auf der Welt war und an seinen Blick. Mein Leben lang werde ich nicht damit fertig.

Die Leute: Du findest wieder einen Partner. Was war denn so besonders an ihm?

Anette: Ich fühlte mich bei ihm wie eine Schildkröte, die nach einem langen Winterschlaf den Kopf in die Sonne streckte und blinzelte und erwacht. Das hatte er bewirkt. Ich verspürte ein ungekanntes Glück, allein darüber, in seiner Gesellschaft zu sein. Als sei eine geheime Tür aufgeschwungen und er hätte mich über die Schwelle gelockt. In eine magische Welt aus Wärme, Farben und Licht und hunderte von Orchideenblüten, die wie in einem überwältigendem Konfettiregen aus blau und rot und gelb Tönen auf uns herabrieselten. Er war meine Einladung ins Leben

Die Leute: Du kannst dich doch mal melden.

Anette: Ihr seid so scheinheilig, dabei denkt ihr doch: Nur nicht bei mir!

Die Leute: Wie geht es dir mittlerweile?

Anette: Weil „depressiv, anhaltende Traurigkeit, schlechte Verfassung….“ so lange Wörter sind, antworte ich: „ gut“ und jeder glaubts.

Aber ich bleibe allein zurück. Ich überlebe die verstreichenden Tage in

DER STILLE DANACH